Erwin K. Scheuch. Wer da hat, dem wird gegeben.
Eine Biographie zur Sozial- und Wissenschaftsgeschichte in drei Bänden.
- Ute Scheuch
„Wer da hat, dem wird gegeben“ – dieser von dem amerikanischen Soziologen Robert K. Merton, einer seiner großen Vorbilder, so genannte „Matthäus-Effekt“ sollte zu den Lieblingssprüchen Erwin K. Scheuchs gehören; denn als Kind litt er unter schrecklicher Armut, die ihm den Erwerb lesenswerter Bücher nicht erlaubte, deren Lektüre er dann eben ungelesen so gekonnt zusammen dichtete, dass niemand seine Notlüge durchschaute. Später, frei von finanziellen Sorgen, durfte er am eigenen Leibe die Wahrheit dieser These in der Soziologie erfahren: Bücher wurden ihm zuhauf geschenkt.
Diese Biographie zeichnet den Weg nach, der ihn zu einem geachteten und gefragten Soziologen in Deutschland ebenso wie weltweit werden ließ. Sie lässt zugleich die Geschichte Deutschlands lebendig werden: das Elend zu Ende der Weimarer Republik, der Aufstieg der Nazis, der Einsatz als Flak-Helfer, das Überleben nach dem Zusammenbruch als „findige Schwarzhändler“, die Erfahrungen bei der Währungsreform 1948: dass Menschen sich von heute auf morgen völlig anders verhalten, abhängig vom jeweiligen sozialen Umfeld. Dies alles prägte ihn entscheidend; doch noch schwankte er, ob er in die Gesellschaft als Journalist oder Wissenschaftler einwirken wolle. Letztlich tat er das Naheliegende: beides zeitlebens miteinander zu verbinden und „drei Leben“ parallel zu führen: als Soziologe, der Theoretiker und Empiriker war, und eben auch als Publizist.
Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Treffsicherheit er als wachsamer, kritischer Soziologe mit seinen Analysen Schwachpunkte der Gesellschaft aufzeigte. Und so legt diese Biographie ein faszinierendes Porträt der Zeitgeschichte Deutschlands und vieler anderer Gesellschaften vor.
Rezension: Rezension von Volker Kempf in "Junge Freiheit", 1. Mai 2015, Seite 25
Band 1: Sein zielstrebiger Aufstieg aus dem Elend in die Spitzen der deutschen und internationalen Soziologie.
Mit einem Geleitwort von Hans-Peter Schwarz.
Erwin K. Scheuch gehörte zu den Gründungsvätern der empirischen Sozialforschung in Deutschland, der sein Handwerk in den USA lernte und dort lange Jahre bis hin als junger Professor an der Harvard-Universität verbrachte. Bekannter in Deutschland aber wurde er durch sein Wirken als „Allround-Soziologe. Schon früh formulierte er sein Credo, das sich wie ein roter Faden durch sein Werk ziehen sollte: Gesamtanalysen hatten sich als unhaltbar erwiesen, frühere Antithesen wie: ideelle Faktoren oder wirtschaftliche und technische Einflüsse als „Ursachen“ des sozialen Wandels waren überwunden ebenso die Vorstellung von der Zwangsläufigkeit sozialer Veränderungen. Als empirisch vorgehender Soziologe hatte er hinter die Fassaden zu schauen, Abläufe als Vorgänge zu verstehen, die keiner der Beteiligten wirklich will, die Gesellschaft als ein Vorherrschen des Ungeplanten und Ungewollten zu sehen, bei denen die Absichten der Beteiligten oft wenig zählen.
Freund und Feind machte er sich aber als „streitbarer“ Wissenschaftler, der keinem ihm aufgezwungenen Kampf auswich. Hierzu der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz in einer Würdigung Erwin K. Scheuchs: „Neue Kampfgemeinschaften, neue Feindschaften, die zeitweilige Tätigkeit in der Kölner Lokalpolitik und dann die Verdammung durch das linke und das rechte Partei-Establishment! Was für ein Leben, was für ein Thema!“
Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Treffsicherheit er als wachsamer, kritischer Soziologe mit seinen Analysen Schwachpunkte der Gesellschaft aufzeigte. Und so legt diese Biographie ein faszinierendes Porträt der Zeitgeschichte Deutschlands und vieler anderer Gesellschaften vor.
Band 2: Seine Unrast, die Welt verstehen zu lernen, lässt sich steigern.
Erwin K. Scheuch hatte nach seinem lebensbedrohenden Zusammenbruch Anfang 1978 die Konsequenzen aus seinem ihn mehr und mehr befremdenden Leben gezogen: Er wagte ein neues Leben, zumindest privat. Seit Jahren wünschte er, aus seiner ihn belastenden Ehe mit einer Ehefrau auszubrechen, die seine „Faszination mit empirischer Forschung“ immer weniger teilte. Endgültig war es 1981 soweit, als wir nach einer jahrelangen flüchtigen Bekanntschaft erkannten, als Partner zukünftig zusammenleben und -arbeiten zu wollen.
Seine „Unrast, die Welt verstehen zu lernen“, war dagegen nach wie vor seine Lebensmaxime. Er steigerte nicht nur seine Präsenz in der deutschen Soziologie wie auch in den internationalen Soziologenverbänden, sondern intensivierte zugleich die Pflege seiner Beziehungen mit Sozialforschern aus aller Welt, insbesondere durch Reisen in die USA, in die Sowjetunion, nach Südafrika, Japan oder China.
In der Bundesrepublik mischte er als Vortragender oder Interviewpartner in allen gesellschaftspolitisch relevanten Fragen mit. Mit diesem seinem Wirken in den achtziger Jahren, das hier unter den Überschriften „Parteien wohin? Deutschlands politische Landschaft im Umbruch“ und „Die Soziologie des Alltags bleibt wichtig“ detailliert geschildert ist, läßt sich ein lebhaftes Porträt der Zeitgeschichte in den achtziger Jahren nachlesen.
Band 3: Sein Rat als Soziologe wird weltweit gefragt.
Ende der achtziger Jahre sollte der Zusammenbruch des Kommunismus das Schwergewicht unseres Lebens als Soziologen drastisch verlagern: Schon am „Vorabend“ dieses weltgeschichtlichen Ereignisses hatten wir bei Reisen in die Sowjetunion, Polen oder die DDR die sich in Ländern des Ostblocks verstärkenden Spannungen verspürt. 1989 und dann wieder 1990 baten Amerikaner Erwin K. Scheuch um Vortragsreisen durch ihr Land, zuerst um sich die einsetzende Flüchtlingswelle aus der DDR und dann das Zerbröseln des SED-Regimes erklären zu lassen. Für die überraschend erfolgte Wiedervereinigung Deutschlands interessierten sich selbstverständlich insbesondere Südkoreaner, und so erlebten wir eine spannende Woche in diesem Land auf unserer Weiterreise nach Japan. Auch hier dominierten die Vorgänge in Deutschland so sehr, dass der deutsche Soziologe sogar auf der für Journalisten wichtigsten Bühne, der Nippon Press Conference, Rede und Antwort stehen durfte. Eine weitere Vortragsreise unter anderen führte uns 1996 kreuz und quer durch China: Deren Machthaber wollten aus dem Zusammenbruch der DDR lernen – und wir lernten umgekehrt, welche Vorkehrungen sie selbst für die Sicherung ihrer Diktatur trafen. Das Kapitel über diese Zeit gehört zweifelsohne zu den spannendsten Schilderungen dieser faszinierenden Epoche.
Erwin K. Scheuch blieb bis zu seinem Tod ein Soziologe, dessen Rat auf vielen Bühnen wie den internationalen oder den japanischen Soziologenverbänden ebenso wie in Ländern wie beispielsweise Argentinien, USA, Australien oder Südkorea gefragt war. Und doch gehörte zu seinen wichtigsten Anliegen nach wie vor, in seiner Heimat - Deutschland im allgemeinen und Köln im besonderen – einerseits „im Dienste der Soziologie“ präsent zu bleiben und sich mit grundsätzlichen Fragen seiner Disziplin auseinanderzusetzen, andererseits aber auch in allen Streitfragen von öffentlichem Interesse – insbesondere bei von ihm angeprangerten Deformationen des politischen Systems ebenso wie zu der „Realität und Ideologie“ im wirtschaftlichen Globalisierungsprozess - unerschrocken Stellung zu beziehen. Selbstverständlich griff er stets auch Themen auf, die durch den sich beschleunigenden sozialen Wandel an Brisanz gewannen. Das war dann auch sein Engagement, das ihn in Deutschland zu einem der bekanntesten Soziologen überhaupt werden ließ.
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